Was darf's denn sein: Windows 3.1, Word 5.5, dBase fuer Windows oder gar schon die Beta von MS-DOS 6.0? Von der Verbreitung von Raubkopien, Pornographie bis hin zu Vermittlerdiensten zwischen Anbietern und Interessenten von Kinderpornogrophie ist in der deutschen Mailboxszene anscheinend alles vertreten. Welche Kreise das schlagen kann, machte eine Grossaktion der Berliner Polizei Ende Oktober 92 deutlich: 13 Mailboxen wurden geschlossen, 25 Computer und rund 250 Softwarekopien beschlagnahmt. == CHAOS IN DEUTSCHEN MAILBOXEN == Von Raubkopien ueber Sex bis zu Nazi-Schmierereien - entwickelt sich, was vor ein paar Jahren noch Treffpunkt von Computerfreaks war, immer mehr zum Mekka krimineller Aktivitaeten? Mittwoch Vormittag zwischen zehn und zwoelf, Berlin, den 28.10.1992: Stellt man sich bei einer Polizeirazzia im Computersektor hektische Schwarzkopierer vor, die beim ersten Anzeichen einer Polizeikontrolle die Festplatten formatieren, um Beweise zu vernichten, zeigt das Vorgehen der Berliner Polizei deutlich, wie sinnlos diese Versuche waeren: Zuerst wurde von ausserhalb der verdaechtigen Wohnung der Stromkreis unterbrochen. Sofort darauf wurde die Tuer geoeffnet, und die Beamten drangen in die Wohnung ein. Der Aktion fielen einige der aeltesten Berliner Boxen zum Opfer. Dazu zaehlen z.B. die "M3 Evolution", die "Charlottenburger Pinte", "Zeltic Cross" oder "Nostromo". Da es sich in diesen Faellen nicht um Szeneneulinge handelte, kann man davon ausgehen, dass den Taetern der Umfang und die Konsequenzen ihrer Tat bewusst waren. In unserem speziellen Fall wurden Raubkopien kommerzieller Software im Wert von einigen hunderttausend Mark gesucht und auch gefunden. Die Aktion fand auf Betreiben der BSA (Business Software Alliance) und des VSI (Verband der Softwareindustrie) statt, aber auch die Namen Microsoft und Borland fielen im Gespraech mit verschiedenen Betreibern; die Staatsanwaltschaft hielt sich bedeckt. Das theoretisch verhaengbare Strafmass fuer die Taeter koennte Gefaengnis bis zu 5 Jahren oder eine Geldstrafe betragen. = Trauer um Raubkopien = Bereits wenige Stunden nach der Aktion tauchten in den unbeteiligten Mailboxen die ersten Warn- und Trauer-Meldungen auf. Die ersten Meldungen sprachen von 15-30 Boxen und warnten gleichzeitig alle anderen Teilnehmer, aber auch "Kunden" der betreffenden Boxen vor weiteren Aktionen. Sowohl diese als auch die Meldungen, welche ihr Bedauern ueber das Verschwinden der betroffenen Boxen ausdrueckten, waren in ihrer Tendenz deutlich auf Seiten der "Hot-Stuff-Boxen", wie man diese Art der Mailboxen im Szenejargon nennt. = Schaden in nicht festlegbarer Hoehe = Von einigen dieser Boxen ist bekannt, dass sie einen regelrechten Geldbotendienst unterhielten. Die Interessenten an schwarzkopierter Software gaben ihre Adressen an und wurden daraufhin von einem Boten besucht, der sofort bar DM 150,- kassierte. Kurze Zeit darauf erhielten die Zahler ihre Zugangsberechtigung. Die Menge der quasi am Produzenten "vorbeiverkauften" Programme, kann nicht annaehernd bestimmt werden. Dennoch weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass man plant, die Kontrollen anzuziehen. In der Szene muesse das Gefuehl, Raubkopiererei sei ein Kavaliersdelikt, untergraben werden. == WAS SAGEN MICROSOFT UND BORLAND? == Unbestaetigten Geruechten zufolge wurden die Aktionen gegen Raubkopierer-Mailboxen, die jetzt auch in anderen Teilen Deutschlands anlaufen sollen, auf Betreiben von Microsoft und Borland durchgefuehrt. Was steckt dahinter? Rudolf Gallist, Geschaeftsfuehrer der Business Operations Microsoft Zentral-Europa sagte in einem Gespraech: "Sowohl die Verbaende als auch die Unternehmen waren bereits im Vorfeld ueber die Aktion informiert worden und unterstuetzten die Kripo bei ihren Untersuchungen. Microsoft begruesst das geschlossene Vorgehen bei der Bekaempfung von Raubkopierern und die Vorgehensweise der Polizei." Interessant ist in diesem Zusammenhanq eine Pressemitteilung, in der Microsoft den bislang "umfangreichsten Fund an Raubkopien aller Zeiten" bekannt macht. Hier bei hat man in den USA "16 Container mit ueber 150.000 Versionen von MS-DOS 5.0" sichergestellt, was einem Marktwert von ungefaehr 9 Millionen US-Dollar entspricht: "Microsoft gibt der Hoffnung Ausdruck, dass dieses Verbrechen den Kongress davon ueberzeugt, die Strafen fuer Raubkopierer zu verschaerfen". Bei Borland war man von der Aktion in Berlin ebenfalls informiert, Borland Geschaeftsfuehrer Wolfgang Schroeder sagte allerdings: "Wir wollen zunaechst auf guetlichem Wege etwas tun". Herr Schroeder denkt vor allem daran, den Raubkopierer-Markt ueber den Preis zu erreichen: "Die groesste Gruppe sind die Unmengen Schueler, Studenten und Privatenwender. Die kopieren doch nur, weil Sie nicht genuegend Geld haben." Keine Gnade kennt Borland allerdings, was Raubkopieren von Software fuer kommerzielle Zwecke angeht und unterstuetzt die Berliner Aktion. == BSA UND VSI == "Die Business Software Alliance (BSA) geht erstmals in Deutschland gezielt gegen die Software-Piraterie vor. Ein speziell hierfuer trainiertes Team aus Rechtsanwaelten und Privatdetektiven hat in Zusammenarbeit mit den Behoerden die polizeilichen Durchsuchungen in Berlin ermoeglicht... Die BSA moechte mit derartigen Aktionen verstaerkt gegen die Verletzung des Urheberrechts vorgehen..." Diese Pressemitteilung erreichte uns direkt von BSA kurz vor Redaktionsschluss und zeigt, dass das nur der Anfang dieser Aktionen von BSA und VSI (Verband der Softwareindustrie) gewesen sein kann. Auch der Ablauf der naechsten Schritte wurde hier schon konkret formuliert: - Identifizierung der Software - Identifizierung weiterer Taeter - Identifizierung der Quellen von Beta-Versionen - Identifizierung von Mailboxen - Strafantraege - Schadensersatzansprueche Brad Smith, der europaeische Anwalt der BSA, formulierte es so: "Wir sind fest entschlossen, mit rigorosen Aktionen alle illegalen Mailboxen aus dem Markt zu entfernen." Der Geschaeftsfuehrer der VSI, Johannes Krueger, sagte: "Die deutsche Software-Industrie beobachtet mit Sorge die Zunahme von Mailboxen, die raubkopierte Software anbieten." Die Zeiten fuer die Anbieter von Raubkopien werden haerter werden. == "WILDWEST-MANIEREN!" == Einer der betroffenen Raubkopierer, dessen Wohnung ebenfalls durchsucht worden war, stellte sich uns einem Gespraech: "Wie lief die Aktion ab?" "Zuerst einmal bin ich empoert darueber, das die Polizei einen kleinen Fisch wie mich durchsucht hat, und das nach ,Wildwest-Manier'. Gott sei dank konnte ich vorher alles Belastende loeschen." "Die Raubkopierer-Szene bei Mailboxen nimmt allerdings bedrohliche Ausmasse an." "Ich finde es in Ordnung, dass man die Verdiener der Szene, also die, die viel Geld fuer das Bereitstellen von Software kassiert haben, festnimmt. Allerdings sollte man auf Praeventivmassnahmen setzen, statt nachher die Wohnung zu durchsuchen." "Schlechtes Gewissen?" "Nein, eher Wut ueber den Verlust der Hardware, bzw. der Software. Ich werde auch versuchen, mit Hilfe eines Anwalts Druck zu machen, um meine Anlage zurueck zu bekommen. Ohnehin wurde eines meiner Streamerbaender uebersehen, ich brauche also nur einen neuen Rechner..." "Welche Auswirkungen hat die Aktion auf die Mailbox-Szene?" "Damit werden die Sysops (Mailboxbetreiber, d. Red.) nur in den Untergrund getrieben. Und die gibt es jetzt schon. Dann wird man eben eine ,Elektronische Front' gegen die Staatsanwaltschaft bilden."